FINANCIAL TIMES Deutschland vom 22.01.2001, Seite 34

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Kunst - einmal nicht brotlos

Auf der Suche nach emotionaler Intelligenz entdecken
Wirtschafts-Studenten das Theater. Firmen nutzen das Schauspiel
als Rekrutierungsveranstaltung. Von Stefan Merx


Barfuß schleppen sich die armen Gestalten über den kalten Steinboden. In Lumpen schlurfen sie mitten durch die feine Abendgesellschaft, die sich in der St.-Maria-Kirche zu Köln versammelt hat. Eine Hand voll Berater von McKinsey nebst Ehefrauen recken die Hälse. Auch Vertreter von Bertelsmann und Privatbanker von Sal. Oppenheim sehen sich das Schauspiel an.

"God bless you all" hatte die Schirmherrin Prinzessin Monica zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg noch kurz zuvor ins Kirchenschiff gerufen. Und: "Wir werden gleich die beste Interpretation des T.S.-Eliot-Stückes ,Murder in the Cathedral' auf deutschem Boden erleben." Da war sich Hoheit schon vorher sicher. Wenn sich Studenten zum Theaterspielen, Singen und Musizieren treffen, ist das an sich nichts Besonderes. Doch hier wird kein ordinäres Laienspiel aufgeführt. Auf dem Programm steht englischsprachiges Hochleistungstheater. Nur die rund 200 geladenen Gäste dürfen an diesem kalten Januartag der Premiere beiwohnen. Eltern und Freunde der Studenten müssen einen Tag warten. Nicht nur die Gäste sind handverlesen. Auch die Bühnentruppe setzt sich nicht aus Jedermanns zusammen: Schauspieler, Regisseur und Produzent gehören zum "Alpha Corps". So nennt sich der Zirkel von 71 besonders leistungswilligen Kölner Wirtschaftsstudenten, die sich musische Aktivitäten außerhalb des Stundenplans von Goldman Sachs sponsern lassen. Auftritt nur für Elitestudenten Gründer des "Alpha Corps" ist Paul Drew-Bear, ein amerikanischer Gastdozent an der Kölner Hochschule. "Only the best and the brightest" habe er dort versammelt, sagt er ganz unbescheiden. Wer aufgenommen wird, entscheidet einzig und allein der 60-jährige Drew-Bear. Überdurchschnittliche Noten seien nur ein Qualifikationskriterium für eine Eintrittskarte zum Club. Besondere musische oder sportliche Fähigkeiten müssten hinzukommen. Nur wer insgesamt zur Leistungsgruppe zählt, darf auf die Bühne. Andernfalls würde er seine Glaubwürdigkeit gegenüber den Sponsoren verlieren, sagt Drew-Bear. Die sind schließlich daran interessiert, von ihm Elitäres vorgeführt zu bekommen - um sich gegebenenfalls später mit Arbeitsverträgen zu revanchieren. Mahnender Chor und metzelnde Ritter: Nach zwei Stunden ist das festliche Weihespiel vorbei. Der talentierte Führungskräftenachwuchs erntet heftigen Applaus für die beeindruckende Inszenierung. Auf dem Weg zum Buffet zeigt sich auch ein angehender DaimlerChrysler-Manager angetan. Andererseits habe er aber auch nichts anderes erwartet - schließlich war er selbst einmal Mitglied des Alpha Corps. Eben noch Erzbischof Thomas Becket, jetzt schon wieder VWL-Student Bodo Borgards. Beim Sektempfang im Kirchenvorraum sieht man dem 24-jährigen Hauptdarsteller die Erleichterung über die geglückte Vorstellung an. Mehr als ein halbes Jahr lang hat er drei Abende pro Woche geprobt. Kurz vor der Aufführung mochte er kaum daran denken, wer alles auf der Gästeliste steht. "Ich will nur eine gute Show abliefern", hatte er angekündigt - und seinen Vorsatz wahr gemacht. Nun steht er bei Häppchen und Business-Prominenz und kann wie die anderen kostümierten Darsteller mit potenten Geldgebern und potenziellen Arbeitgebern smalltalken. Auch das klappt bei den meisten wie geprobt. Die gute Show soll den Darstellern schließlich auch etwas bringen. Corps-Pressesprecher Michael Smets, selber nebenbei BWL-Student, macht keinen Hehl daraus, dass die vielen Banker und Unternehmensberater nicht zuletzt deshalb im Publikum sitzen, weil sie "direkten Zugang erhalten möchten" zu den Prachtstudenten. Schnittstelle zur Wirtschaft Die finanziellen Hilfen für das Schauspiel durch die renommierten Firmen sind für Smets "strategische Partnerschaften". In den Veranstaltungen des Alpha Corps gehe es "um die Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Kreativität - einmal weg von den harten Fakten". Smets weiß, dass der Besitz emotionaler Intelligenz ein Muss ist für jeden, der Karriere machen will. Dass Theaterspiel das "Alphabet der Gefühle" anregt, ist spätestens amtlich, seit es der Amerikaner Daniel Goleman, Prediger des emotionalen Quotienten (EQ), aufgeschrieben hat und sich mit Bestsellern zum Thema reich verdient hat. Rundum-Bildung hält auch Paul Drew-Bear für unerlässlich. In seinen studienbegleitenden Kursen ("American Management Seminars") lässt er nach klassischem englischen Vorbild Rede und Gegenrede üben, wilde Ideen auf Englisch austauschen, Literatur analysieren. Wirtschaftsstudenten sollen so ihre rhetorischen und kreativen Fähigkeiten verbessern. Da ist für den Mann aus Boston, der früher Redenschreiber einer deutschen Großbank war, jedes Mittel recht: Beim Shakespeare-Workshop schickt er sogar Studenten auf den Vorplatz des Kölner Doms, um dort den Romeo zu geben. Mit solcher Vorbereitung sind Referate an der Uni ein Klacks. "In der Einführungsveranstaltung des Seminars musste ich laut rufen: ,Ich bin motiviert'", erzählt freudestrahlend ein Seminarteilnehmer - offenbar noch immer motiviert. Wer an der Kölner Uni Wirtschaftswissenschaften studiert, hat genug Gründe zum Schlechtfühlen: Massenbetrieb in Betonambiente, kaum Kontakt zum Lehrpersonal, dafür umso mehr Leerlauf. Es fällt nicht schwer, frustriert zu versinken zwischen Kursen zur Kostenrechnung, Fiskalpolitik und Statistik. American Management Seminars sollen eine "Oase" bilden. Ein kultureller Rückzugsraum, in dem allerdings ebenfalls nur weiterkommt, wer fleißig ist. Auf das Wort "Leistungselite" reagieren in Deutschland viele allergisch, kritisiert Drew-Bear. Er selbst finde Auslese gesund. "In meinen Kursen können sich die Studenten nicht anonym in die Ecke setzen." Hallo Mädchen im grünen Pullover, was hast du zum Thema beizutragen? "Nach so einer Frontal-Ansprache sieht man manche Leute nicht wieder." Das ist sein Prinzip. "Die American Management Seminars bilden Wirtschaftsstudenten zu Persönlichkeiten mit Führungspotenzial und interdisziplinärer Weitsicht fort", behauptet der 23-jährige Smets. "Den meisten Studenten geht es darum, ihren Denkhorizont zu erweitern." Der Karrieregedanke sei zweitrangig. Das wissen die High Potentials ja schon von Erzbischof Thomas Becket: "Der größte Verrat besteht darin, das Rechte aus falschem Grund zu tun."

www.murderinthecathedral.de


Stefan Merx