Wirtschaftswoche NR. 006 VOM 01.02.2001 SEITE 130

Erfolg
STUDIUM Spielend einfach

Studenten der Kölner Wiso-Fakultät üben sich im Schauspiel und lernen dabei Führungsqualitäten.


Tatort St. Maria im Kapitol. In der romanischen Kirche in Köln ist es düster und kalt. Im Altarraum liegt Thomas Becket, Erzbischof von Canterbury, auf dem Boden. Tot. Königstreue Ritter haben ihn ermordet.

Es ist eine Premiere: Kölner Wirtschaftsstudenten spielen das Drama "Mord im Dom" von Thomas Stearn Eliot. Sie wollen dabei auch Fähigkeiten lernen, die die Wirtschaft vom Nachwuchs erwartet Überzeugungskraft, Durchsetzungswillen, Kritikfähigkeit.

Seit einiger Zeit sorgen die American Management Seminars an der Universität Köln dafür, dass begabte Wirtschaftsstudenten sich interdisziplinär auf ihre Karriere vorbereiten. Dozent Paul Drew-Bear hat dazu Theater auf den Lehrplan gesetzt. Inspirieren ließ er sich vom berühmten Shakespeare-Regisseur Richard Olivier, der Theaterseminare für Manager anbietet. Wie diese sollen Drew-Bears Schützlinge Führungsqualitäten erlernen vor allem emotionale Intelligenz: "Selbsterkenntnis und das Hineinfühlen in andere Menschen und Situationen", zählt der Amerikaner dazu.

Die Idee ist, wie der Name des Seminars erahnen lässt, in Amerika abgeguckt. Alle Veranstaltungen inklusive des Theaters finden in englischer Sprache statt. "Das Wirtschaftsstudium in Deutschland beschränkt sich zu einseitig auf die Theorie", klagt Drew-Bear. Wer in den USA Wirtschaft studiere, könne dagegen auch Kurse in Literatur, Musik oder Theater belegen. An einigen Universitäten wie der University of Texas in Austin gehörten sie gar zum Standardstudienplan.

Der Aufwand ist groß. Seit Mai arbeiten die 27 Kommilitonen hart alles für nur zwei Vorstellungen. Produzent, Regisseur, Schauspieler alle Funktionen werden von den Studenten selbst übernommen. Produzent und Regisseur haben dann stets das letzte Wort.

Auch bei der Besetzung der Hauptrolle. Zwei Vorschläge für den Becket-Darsteller gab es. Am Ende entschieden die Proben. Eine ganze Weile übten sich Bodo Borgards und sein Kontrahent in der Rolle des Erzbischofs. Der 24-jährige Borgards machte das Rennen. "Ich wollte gewinnen", erklärt der hoch aufgeschossene Student "Das war wie ein Wettbewerb." Sieg oder Niederlage sportlich zu nehmen sei "eine Tugend", hat er hier erfahren.

Auch sonst lernen die Manager von morgen viel. Schon bei den Proben. "Am Anfang sind viele aus ihrem Schneckenhaus nicht herausgekommen", erklärt Laienregisseur Thorsten Bast. Per Videoaufnahmen erfahren die Mimen hinterher, wie sie wirklich auf ihre Zuschauer wirken und können so an ihrem Ausdruck feilen. Kommunikationstalent, Charisma und Ausstrahlung "sind heute unerlässlich im Job", betont Dozent Drew-Bear. Ebenso wie die Fähigkeit zur Kritik. Davon müssen die Schauspieler eine ganze Menge einstecken. So auch Hauptdarsteller Borgards: "Daran musste ich mich erst gewöhnen. Aber der Regisseur hat schließlich die Gesamtverantwortung."

Trotzdem entbrennen oft heftige Diskussionen um die Interpretation einzelner Textstellen. Auch das ist gewollt und gehört zum Lehrplan. Motto: Kritik annehmen, aber nicht um jeden Preis. "Die eigene Überzeugung sollte man angemessen vertreten können", sagt Drew-Bear. "Ohne laut oder autoritär zu werden."

Dass so eine Theaterproduktion auch Krisen mit sich bringt, ist dem Dozenten nur recht. Zeitweiliges Chaos lässt er bewusst zu. So ist es nicht immer einfach für die Studenten, geeignete Räume für die Proben zu finden, vereinzelt springen Schauspieler ab und reißen Lücken. Regisseur Bast und Produzent Manuel Echterbecker kümmern sich dann gemeinsam um die Lösung der Probleme. Flexibilität und Organisationstalent sind die Voraussetzung für den späteren Erfolg. Bast: "Ganz wichtig ist, dass man Aufgaben delegiert." Denn einerseits wollen alle 27 angehenden Wirtschaftswissenschaftler ausgelastet werden, andererseits dürfen sie mit ihren Seminararbeiten, Klausuren oder der Diplomarbeit nicht in Verzug geraten. Zeitmanagement kommt so zum Lernmix automatisch dazu.

Doch das Engagement lohnt sich. Frank Sänger, Associate bei McKinsey und zuständig für das Recruiting bei der Unternehmensberatung, lobt: "Allein der Einsatz zählt. Diese Studenten bekommen keine Punkte dafür, und trotzdem sind sie motiviert." Sänger ist überzeugt, dass es Wichtigeres gibt als die graue Theorie der Universität "und das sind Eigenschaften wie Selbstbewusstsein und Kommunikationsfähigkeit. Die lernen sie hier."

Das kann Laienmimin Ulrike Bauer nur bestätigen. Sie stand noch nie zuvor auf einer Bühne und musste hier gleich die Rolle eines mordenden Ritters übernehmen. "Ich bin eigentlich kein Typ, der laut wird", beschreibt sich die 20-Jährige. "Doch die Rolle verlangt Angriffslust. Eine echte Überwindung."

Am Premierenabend ist davon nichts zu spüren. Ulrike Bauer marschiert entschlossen mit den anderen Mordrittern durch den Mittelgang von St. Maria im Kapitol auf ihr Opfer zu. Kein Zögern und Zaudern mehr. Auch die Leistung ihrer Kommilitonen überzeugt. Regisseur Bast atmet auf. Und auch der Dozent ist sichtlich zufrieden: "Einige sind über sich hinausgewachsen."


Autor: Zimmermann, Stefanie